Gesetz

Begründung A Allgemeiner Teil

Seit 1994 haben Bürgerinnen und Bürger das Recht, in einer Vielzahl kommunaler Angelegenheiten selbst zu entscheiden. Die Bürger können beantragen (Bürgerbegehren), dass sie an Stelle des Rates über eine Angelegenheit der Gemeinde selbst entscheiden (Bürgerentscheid). Durch dieses Element direkter Demokratie können sie Einfluss nehmen auf ihr lokales Umfeld, denn ihre Entscheidung tritt an die Stelle der Entscheidung des Rates oder des Kreistages. Die Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen machen im Ländervergleich nach Bayern und Baden-Württemberg am häufigsten von Bürgerbegehren und Bürgerentscheid Gebrauch.

Bürgerinnen und Bürger, die sich entschließen, ein Bürgerbegehren mit dem Ziel eines Bürgerentscheids durchzuführen, sollen realistische Chancen haben, ihr Anliegen durchzusetzen und auf die Kommunalverwaltung gestaltend einzuwirken. Die Schwierigkeit, in einwohnerstarken Gemeinden einen Bürgerentscheid initiieren und zum Erfolg bringen zu können, hat bereits im Jahr 2000 (Gesetz zur weiteren Stärkung der Bürgerbeteiligung in den Kommunen vom 20.3.2000 - GV.NRW.S.245) den Gesetzgeber veranlasst, das Quorum beim Bürgerentscheid von 25 % auf 20% der Stimmen der Bürger zu senken. Dieser Reformprozess wird differenziert fortgeführt und ein anhand der Einwohnerzahl der Kommunen gestaffeltes Quorum in die Kommunalverfassung aufgenommen.

Viele Themen der örtlichen Gemeinschaft stehen Initiativen der Bürgerinnen und Bürger zu einem Bürgerentscheid offen, allerdings noch nicht in dem Umfang, der den Interessen der Bürgerinnen und Bürger entspricht. Der Gesetzentwurf sieht vor, die Entscheidung über die Frage, ob ein Bauleitplanverfahren durchgeführt werden soll, für Bürgerbegehren zu öffnen.

Damit wird in einem Kernbereich kommunaler Entwicklung und Gestaltung eine politische Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger ermöglicht, die die schon jetzt bestehende Beteiligung der Öffentlichkeit in Bauplanungsverfahren ergänzen kann.

In der Praxis hat sich das gesetzliche Erfordernis, einen Vorschlag zur Deckung der Kosten der verlangten Maßnahme unterbreiten zu müssen, als wesentliche Ursache für die Unzulässigkeit zahlreicher Bürgerbegehren erwiesen. Dennoch ist die Frage der Kostenrelevanz einer mit einem Bürgerbegehren verfolgten Maßnahme von großer Bedeutung. Der Gesetzentwurf sieht zur Stärkung der bürgerschaftlichen Mitwirkung deshalb vor, dass die Kommunalverwaltung eine Schätzung der Kosten der verlangten Maßnahme vornimmt

Bislang besteht in NRW keine Regelung für den Fall, dass (Rats-)Bürgerentscheide miteinander konkurrieren. Nach bayerischem Vorbild wird dem Rat verbindlich vorgeschrieben, eine Stichfrage zu beschließen, um bei gleichzeitig und widersprüchlich zur Abstimmung stehenden Bürgerentscheiden eine die Gemeinde bindende Entscheidung herbeiführen zu können.

§ 110 des Justizgesetzes (Art. 1 des Gesetzes zur Modernisierung und Bereinigung von Justizgesetzen im Land Nordrhein-Westfalen vom 26.01.2010, in Kraft getreten am 01.01.2011, GV.NRW 2010, 29 ff) wird nachvollzogen.

B Besonderer Teil

Zu Artikel 1 (Änderung des § 26 Gemeindeordnung)

Zu Nummer 1 (Absatz 2) Ziel der Neuregelung ist, einerseits die Bürger bei der Initiierung eines Bürgerbegehrens von dem strengen Zulässigkeitskriterium des Kostendeckungsvorschlages zu entlasten und andererseits die Information der Bürger über die Kosten der Maßnahme als wesentliches Entscheidungskriterium sicher zu stellen.

Dieses Ziel wird erreicht, indem der Kostendeckungsvorschlag ersetzt wird durch eine Einschätzung der mit der Durchführung der verlangten Maßnahme verbundenen Kosten (Kostenschätzung), die die Kommunalverwaltung erstellt.

Bürgerinnen und Bürger, die ein Bürgerbegehren durchführen wollen, teilen dies der Verwaltung der Kommune schriftlich mit. Nach der schriftlichen Mitteilung erstellt die Kommunalverwaltung eine plausible und summarische Kostenschätzung, die sie schriftlich den Vertretungsberechtigten des Bürgerbegehrens mitteilt. Bis zu dieser Mitteilung ist der Lauf der Fristen zur Einreichung eines kassatorischen Bürgerbegehrens unterbrochen (Absatz 3 Satz 3 neu). Absatz 2 Satz 6 normiert die Obliegenheit der Vertreter des Bürgerbegehrens, die Kostenschätzung der Verwaltung den Bürgern so zur Kenntnis zu geben, dass jeder Unterzeichnende bei der Abgabe der Unterschrift von der Kostenschätzung der Verwaltung Kenntnis nehmen kann. Liegt dem Bürgerbegehren eine andere Einschätzung der Kosten zugrunde, kann eine abweichende Auffassung in der Begründung des Bürgerbegehrens dargestellt werden.

Die kostenmäßigen Auswirkungen und der Aspekt der haushaltsrechtlich zulässigen Finanzierung einer durch ein Bürgerbegehren verlangten Maßnahme werden jedoch auch ohne einen obligatorischen Kostendeckungsvorschlag bei der Zulässigkeitsprüfung durch den Rat zu berücksichtigen sein. Ein Bürgerbegehren kann von der Gemeinde nicht verlangen, sich haushaltsrechtswidrig zu verhalten. Ein Bürgerentscheid untersteht nicht anders als ein Ratsbeschluss dem geltenden Recht. Die Grenze des gemeindlichen Handelns markiert in Nordrhein-Westfalen der in § 75 Absatz 1 Satz 2 GO NRW verankerte haushaltsrechtliche Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit.

Zu Nummer 2 (Absatz 3) Buchstabe a): Redaktionelle Änderung Buchstabe b): Durch das Kostenschätzungsverfahren nach Absatz 2 Sätze 2 bis 6 wird der Ablauf der Fristen in den Sätzen 1 und 2 gehemmt.

Zu Nummer 3 (Absatz 5)

Der Negativkatalog des Absatzes 5, der die Themen enthält, über die ein Bürgerbegehren nicht zulässig ist, wird insgesamt gestrafft und bereinigt. Nr. 3 und 4 (Haushalt und Eröffnungsbilanz) werden in der neuen Nr. 3 zusammengefasst. Nr. 7 (Entscheidungen über Rechtsbehelfe und Rechtsstreitigkeiten) - entfällt wegen mangelnder praktischer Relevanz, da bereits die im Rahmen von Rechtsbehelfen bzw. Rechtsstreitigkeiten einzuhaltenden Fristen Bürgerbegehren in aller Regel nicht möglich machen. Nr. 8 (Angelegenheiten, für die der Rat keine gesetzliche Zuständigkeit hat) und Nr. 9 (gesetzwidrige Ziele und Verstoß gegen die guten Sitten) können aufgrund ihres deklaratorischen Charakters entfallen. Nr. 10 (Angelegenheit, über die innerhalb der letzten zwei Jahre ein Bürgerentscheid stattgefunden hat) findet sich umformuliert im neuen Satz 2.

Die Regelung im bisherigen Absatz 5 Nr. 6 (neu: Absatz 5 Nr. 5) wird ergänzt: Die grundsätzliche Entscheidung über die Frage, ob ein Bauleitplanverfahren eingeleitet werden soll, wird einem Bürgerbegehren zugänglich gemacht. Damit wird den Gemeindebürgern in einem wesentlichen Bereich kommunaler Aufgabenerfüllung eine weitere Mitwirkungsmöglichkeit eröffnet. Demgegenüber bleiben die dem Aufstellungsbeschluss nachfolgenden Abwägungsentscheidungen dem Rat der Gemeinde vorbehalten.

Die Frage, ob ein Bauleitplanverfahren eingeleitet werden soll, kann im Wege einer mit Ja oder Nein zu beantwortenden Frage entschieden werden (vgl. § 26 Abs. 7 Satz 1). Anders ist es bei Entscheidungen, die materielle Abwägungsentscheidungen voraussetzen oder enthalten. Der im Baugesetzbuch geregelte formalisierte Verfahrensablauf mit ausdrücklicher Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung verlangt eine umfassende rechtliche Prüfung und komplexe Abwägung aller durch die Planung betroffenen Belange.

Das Spannungsverhältnis zwischen dem im Bauplanungsrecht bundesrechtlich vorgegebenen Abwägungsprozess einerseits und dem Entscheidungsrahmen des Bürgerentscheids anderseits beschreibt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof für die Rechtslage in Bayern (Art 18 a Bayerische Gemeindeordnung), nach der die Bauleitplanung nicht Gegenstand des Negativkatalogs ist, folgendermaßen: Das in § 1 Absatz 7 verankerte Gebot, bei der Aufstellung der Bauleitpläne die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen, setzt der direktdemokratischen Einflussnahme auf die kommunale Bauleitplanung durch Bürgerentscheid Grenzen. Denn während die planerische Abwägung nicht in einer einmaligen Entscheidung, sondern in einem dynamischen Prozess mit einer Kette gestufter Präferenzentscheidungen unter Abschichtung von Alternativen erfolgt, zielt der Bürgerentscheid mit seiner geschlossenen nur mit ja oder nein beantwortbaren Fragestellung (Art. 18 a Absatz 4 Satz 1 auf eine Einzelentscheidung mit beschränkt bindender Wirkung (Art. 18 a Abs. 13 v. 27.07.2005, 4 CE 05.1961).

Aus dem Charakter des Bürgerbegehrens als ein auf die Beantwortung einer Frage mit Ja oder Nein zugeschnittenes Verfahren folgt deshalb, dass Bürgerentscheide über Planungsentscheidungen, die das Ergebnis eines nach dem Baugesetzbuch vorgegebenen Abwägungsprozesses sind oder bindende Vorgaben für die zu treffende Entscheidung enthalten, nicht zulässig sind (materielle Rechtswidrigkeit).

Der aus dieser Rechtslage folgenden Rechtsunsicherheit sowohl bei den Initiatoren eines Bürgerbegehrens als auch den Kommunen hinsichtlich der Zulässigkeit eines Bürgerbegehrens zu bauplanungsrechtlichen Fragen begegnet die Formulierung des Absatz 5 Nr. 5 (neu).