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2. Welche möglichen Probleme können auftreten?

- Welches sind die Erfahrungen mit Problemen bei der Stimmabgabe (z.B. Übersichtlichkeit der Stimmzettel, ungültige Stimmen) in den Bundesländern, die nach einem ähnlichen Wahlrecht verfahren?

Generell zeigt die Erfahrung, dass in Ländern, in denen Kumulieren und Panaschieren durchgeführt wird, dass die Stimmzettel insbesondere in großen Städten in erheblichem Maße unübersichtlich werden können.

In der Folge kann es - wenn nicht geeignete Maßnahmen getroffen werden, wie etwa mit einer zu großen Anzahl an verteilten Stimmen umgegangen werden soll zu einer erhöhten Zahl ungültiger Stimmzettel kommen. Dieser ließe sich jedoch ggf. durch geeignete Gestaltung des Stimmtzettels entgegenwirken wie z. B. die Nutzung einfacher Stimmzettel bei Verzicht auf Kumulieren/Panaschieren.

-Inwieweit besteht die Gefahr, dass Kandidat/innen mit mehr Finanzmitteln sich einen Vorteil verschaffen können durch eigenfinanzierten Persönlichkeitswahlkampf?

Generell erscheint es aufgrund der.Erfahrungen wahrscheinlich, dass Kandidatinnen und Kandidaten eigene Finanzmittel verwenden oder dass Parteien den Kandidatinnen und Kandidaten eigene Budgets zur Unterstützung des Persönlichkeitswahlkampfes zur Verfügung stellen. Eine Tendenz der Amerikanisierung der Wahlkämpfe etwa in dem Sinne, dass vor allem wohlhabende Kandidaten eine Chance haben, gewählt zu werden, erscheint aufgrund des hier notwendigen Mitteleinsatzes und aufgrund der Erfahryngen in anderen Bundesländern unwahrscheinlich.

- Besteht die Gefahr, dass Inhalte zurücktreten?

Die Persönliche Zuordnung von Tätigkeit im Rat und Wahlkampf erscheint durchaus wahrscheinlich und wird von Befürwortern des Verfahrens auch angestrebt. Es erscheint jedoch unwahrscheinlich,

- Besteht in Anbetracht ohnehin sinkender Wahlbeteiligung die Gefahr, dass bei einer weiteren Verkomplizierung des Wahlrechts die Wahl zur reinen Mittelschicht-Veranstaltung wird?

Es gibt keinen gesicherten Nachweis, dass die Wahlbeteiligung durch Kumulieren und Panaschieren ansteigt. Andererseits lässt sich auch nicht mit empirischer Evidenz sagen, dass die Wahlbeteiligung sinkt. Tatsächlich ist jedoch die Neigung zu Kumulieren und Panaschieren stärker, je höher das Bildungsniveau ist. Einerseits kommt das Verfahren damit den gesteigerten Partizipationsbedürfnissen einer Bevölkerung entgegen, welche heute über ein höheres durchschnittliches Bildungsniveau verfügt als vor einigen Jahrzehnten, andererseits erscheint es denkbar - wenngleich empirisch nicht nachgewiesen - dass dadurch die Effektivität der Stimme von Bevölkerungsgruppen mit geringerem geringer wird. Einen Nachweis, dass ein neues Wahlrecht ursächlich ist für einen verstärkten Mittelschichtenbias bei der Wahlbeteiligung gibt es jedoch nicht.

3. Wie bewerten Sie die unterschiedlichen Verfahren in anderen Bundesländern?

- Es gibt verschiedene Wege, wie die einzelnen Bundesländer das Kumulieren und Panaschieren bei der Kommunalwahl umgesetzt haben. Welches Modell würden Sie bevorzugen?

Warum?

Die offenste Möglichkeit ergibt sich dann, wenn die Anzahl der maximalen Stimmen der Anzahl der Sitze entspricht, wie dies etwa in Bayern geschieht, führt jedoch gleichzeitig zu einer größeren Unübersichtlichkeit. Dennoch erscheint dieses Modell aus prinzipieller Sicht am ehesten geboten, da es die größte Wahlfreiheit auf Seiten der Wählerinnen und Wähler ermöglicht.

- Gibt es Argumente, die gegen das im Antrag favorisierte niedersächsische Modell sprechen (z.B. die Einteilung in Wahlbereiche)? Inwiefern ist dieses Modell besser als Modelle aus anderen Bundesländern?

Die Aufteilung des Wahlgebietes in Wahlbereiche ermöglicht eine Auswahl der Vertreter nach Wohnsitzgesichtspunkten. Es spricht jedoch einiges dafür, dass die Wählerinnen und Wähler ihre Wahl zunehmend nach sachlichen oder sozialstrukturelleh Erwägungen treffen und weniger nach Wohnsitzgesichtspunkten.

Dies spricht eher dagegen, dass in Niedersachsen praktizierte Modell auch im eher von Großstädten geprägten Nordrhein-Westfalen umzusetzen.

- Was spricht für das Modell, bei dem die Anzahl der Stimmen der Anzahl der zu vergebenen Sitze entspricht?

Für das Modell spricht, dass alle Wähler unter allen Kandidaten die geeigneten Auswählen können. So kann eine Wahl nicht nur entsprechend des Wohnsitzes erfolgen (Kumulieren der Kandidaten im eigenen Wohnbezirk), sondern auch entsprechend sozialer und inhaltlicher Präfere.nzen (z.B. Frauen oder Männer, Ältere oder Jüngere Sachpolitiker in Bereichen, welche dem Wähler/der Wählerin am wichtigsten erscheinen. Dagegen spricht die Unübersichtlichkeit langer Listen.

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- Gibt es Gründe, die in Baden-Württemberg praktizierte unechte Teilortswahl einzuführen?

Die sog. Unechte Teilortswahl führt zu ungleichen Chancen der Kandidatinnen und Kandidaten in den verschiedenen Wahlkreisen und erscheint insofern -nicht favorisierbar.

4. Welche grundlegenden Alternativen gäbe es und wie Sie diese?

-In verschiedenen Staaten (Republik Irland, Nordirland, Schottland,Malta) wird das System der einzeln übertragbaren Stimme (Single-transferable-vote system STV) praktiziert.

Stellt dieses Verfahren eine in NRW umsetzbare Alternative zu Kumulieren und Panaschieren im Sinne des Antrags dar?

Wenn ja, warum? Wenn nein, warum nicht?

Das STV-System stellt historisch betrachtet eine Öffnung des Mehrheitswahlverfahrens dar, indem die Mehrheitswahlregel in Einerwahlkreisen dadurch geöffnet wird, dass Mehrpersonenwahlkreise definiert werden. Die Wählerinnen und Wähler können durch das bilden einer Präferenzordnung dafür Sorge tragen, dass ihre Stimmen - anders als beim relativen Mehrheitswahlrecht in Einerwahlkreisen - ihre Stimme mit gleichem Gewicht anderen Kandidaten zu Gute kommt und dadurch die Proporzregel fair angewendet werden kann. Andererseits ist die Stimmauszählung oftmals nur schwer nachzuvollziehen. Zudem zeigt sich, dass Parteien die Wahlchancen durch gegenseitige Stirnmempfehlungen der Kandidaten in den Wahlkreisen bzw. durch die strategische Überlegungen zur Anzahl eigener Kandidaten in den Wahlkreisen deutlich beeinflussen können und dadurch die Offenheit des Wahlsystems geringer ist, als beim Kumulieren und Panaschieren.

- Kennen Sie weitere denkbare / praktikable Alternativen zu Kumulieren und Panaschieren auf kommunaler Ebene?

Kumulieren und Panaschieren ermöglichen bei entsprechender Stimmverrechnung die offenste Zuordnung von Stimmen zu Abgeordneten und entsprechend die offenste Möglichkeit, dem Proporzprinzip in Wahlen Geltung zu verschaffen.

Gleichzeitig steigt die Komplexität. Vorteile bieten sich vor allem für Wählerinnen und Wähler mit höherem politischen Interesse und höherem Bildungsniveau.