Meine Damen und Herren für so etwas Schreckliches Grausames findet man wirklich keine Worte mehr
Meines Erachtens haben die zuständigen Sozialarbeiter kläglich versagt. Sie haben die große Gefahr für den kleinen Jungen falsch eingeschätzt und sträflicherweise unterschätzt. Der eine hat sich auf den anderen verlassen. Eine kontrollierende Aktenaufsicht gab es praktisch nicht, sodass man wahrscheinlich mit Fug und Recht behaupten kann, dass quasi die gesamte verantwortliche Behörde total versagt hat, bis der kleine, unschuldige Kevin so grausam, so qualvoll sterben musste.
Meine Damen und Herren, für so etwas Schreckliches, Grausames findet man wirklich keine Worte mehr. Ich habe es schon des Öfteren erwähnt, so etwas Schreckliches darf nie, aber auch nie wieder passieren. Gegen eine solche Schande der Menschheit müssen wir alle gemeinsam überparteilich immer und zu jeder Zeit kämpfen. Hierzu haben Sie immer und zu jeder Zeit die volle Unterstützung der Deutschen Volksunion. Es reicht bei Weitem nicht aus, dass zum Beispiel der Amtsleiter suspendiert worden ist, dass die zuständige Senatorin gut dotiert in den Ruhestand geschickt worden ist. All diese Maßnahmen reichen bei Weitem nicht aus.
Der schreckliche, grausame Tod des kleinen Kevin sollte für uns alle eine ewige, verantwortungsvolle, dauerhafte, politische und moralische Verpflichtung sein, aus diesem dokumentierten Bericht des unmenschlichen Grauens, sprich Abschlussbericht, sofort effektive Konsequenzen zu ziehen. Deshalb werde ich Ihrer Forderung, mehr Mitarbeiter für das Jugendamt, Aus- und Weiterbildung der Fallmanager die Chefs in der Sozialbehörde müssen ihre Dienstaufsicht endlich auch ernst nehmen im Gegensatz zu Ihnen bei vielleicht einem dementsprechenden DVU-Antrag namens der Deutschen Volksunion überparteilich zustimmen.
Herr Möhle, ich finde es unverantwortlich, wenn Sie diese schreckliche, grausame Tat teilweise durch das Argument der schlechten Kindheit des Täters zugunsten des Täters vielleicht etwas entschärfen wollen.
Tat gibt es keine Entschuldigung, auch keine schlechte Kindheit, keinen Drogenkonsum und auch keinen Alkohol und so weiter. Dafür gibt es überhaupt keine Entschuldigung und keine Gefühlsduselei für den Täter. Wer einem kleinen Kind so etwas Schreckliches, so etwas Grausames angetan hat, gehört weggesperrt, und das ein Leben lang! Wenn ich sage lebenslänglich, dann meine ich auch lebenslänglich.
Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, es ist noch gar nicht lange her, dass Sie einen entsprechenden Antrag mit der Überschrift Pflichtuntersuchung für Kleinkinder, den ich hier eingebracht habe, abgelehnt haben.
(Abg. Crueger [Bündnis 90/Die Grünen]: Weil er schlecht war!) Herr Pflugradt hat eben gerade erwähnt, dass sich auch hinsichtlich der Erreichbarkeit des Jugendamtes und so weiter bis jetzt nicht viel getan hat. Meine Damen und Herren, das ist einer der Gründe des behördlichen Versagens. Ich fordere Sie hiermit auf, Frau Senatorin sie ist im Moment nicht da, aber sie kann es ja nachlesen! , (Lachen) handeln Sie oh, doch, Entschuldigung! schnell, und beheben Sie diese gravierenden Missstände Ihrer Behörde! Misten Sie Ihre Behörde endlich aus, denn ansonsten wird der grausame Tod des kleinen Kevin hier in Bremen kein Einzelfall bleiben! Handeln Sie, handeln Sie schnell, sehr schnell sogar, bevor es zu spät ist! Ich danke Ihnen!
Präsident Weber: Als Nächste hat das Wort Frau Senatorin Rosenkötter.
Senatorin Rosenkötter: Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich dem Untersuchungsausschuss für seine umfassende Analyse der Umstände, die zu dem tragischen Tod von Kevin geführt haben, meinen Dank und meine Anerkennung ausdrücken.
(Beifall bei der SPD)
Ich will und kann in meinem Beitrag nicht auf alle Facetten des Untersuchungsausschussberichts eingehen, sondern ich werde mich aus meiner Sicht auf wesentliche Ergebnisse konzentrieren und die wesentlichen Teile von Maßnahmen skizzieren.
Der Untersuchungsausschuss stellt fest, dass es erhebliche strukturelle Mängel in der Jugendhilfe gegeben hat, die zwar nicht direkt ursächlich für den Tod des kleinen Kevin waren, die aber wirkungsvolle Hilfemaßnahmen zumindest erschwert haben. Sie haben vor allem auch ein Eingreifen angesichts der prinzipiell erkennbaren Defizite bei der Fallbearbeitung behindert. Hier geht es aus meiner Sicht vor allem um 3 Defizite, die ich auch hier benennen möchte.
Erstens: Das Casemanagement als Methode der Fallbearbeitung ist nicht hinreichend verankert, die Schulungsmaßnahmen zum Casemanagement haben sich bisher als nicht ausreichend dabei herausgestellt, und es bestehen durchaus Unklarheiten, was unter Casemanagement zu verstehen ist.
Zweitens: Die Dienst- und Fachaufsicht wird nicht immer in der Art und Weise wahrgenommen, wie es nötig wäre.
Drittens: Das System der fachlichen Weisungen ist zum Teil intransparent, ebenso die Verantwortungsteilung mit freien Trägern.
Eine spannende Frage ist und bleibt dabei sicherlich, welche Rolle der in Bremen ohne Zweifel herrschende Spardruck dabei gespielt hat. Sicherlich ist die Aussage richtig, dass der Tod Kevins nicht auf fehlendes Geld zurückzuführen ist. Man kann aber auch nicht sagen, dass Geld keine Rolle gespielt hat.
(Beifall bei der SPD)
Die festgestellten strukturellen Defizite werden durch die äußerst knapp bemessenen Ressourcen erheblich verstärkt.
Lassen Sie mich hier ein Beispiel nennen! Ein anspruchsvolles Casemanagement kann nur erfolgreich praktiziert werden, wenn die fallführenden Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter auch ausreichend Zeit haben, sich diesen Fällen, diesen Kindern zu widmen. Um Hausbesuche durchführen zu können, benötigen sie schlicht und einfach Zeit. Die zu geringe Personalausstattung hat mit dazu beigetragen, dass zum Teil fragwürdige Prioritätensetzungen erfolgt sind. Eine Folge davon war in mehreren Fällen auch unzureichende Aktenführung.
In der letzten Sitzung des Jugendhilfeausschusses haben wir eine Anzahl von Maßnahmen verabschiedet, um die strukturellen Mängel zu beseitigen. Dabei möchte ich voranschicken, dass wir an der Methode des Casemanagements festhalten. Sie erscheint uns weiterhin geeignet, die vielfältigen und sehr differenzierten Problemlagen der Jugendhilfe in der richtigen Art und Weise zu bearbeiten. Casemanagement ist übrigens in allen anderen Bundesländern ein anerkanntes, wichtiges und genutztes Instrument.
Ein Kernpunkt der eingeleiteten Veränderungen ist die fachliche Weisung zum Umgang mit möglichen Kindeswohlgefährdungen. Diese gibt klare Handlungsanweisungen für die Aufgaben der fallführenden Sachbearbeiter und regelt Verfahrenswege eindeutig. Von ebenso großer Bedeutung ist die Überprüfung fachlicher Standards in der Fallbearbeitung, also die Frage, wie viel Zeit fallführenden Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern für die Bearbeitung einzelner Fälle zur Verfügung steht, wie oft
Genau an dieser Stelle zeigt sich übrigens der drängende Mehrbedarf an Personal im Amt für Soziale Dienste, in den Sozialzentren vor Ort.
Schließlich ist noch als weitere Maßnahme zu benennen die Einrichtung eines kommunalen Kinder- und Notdienstes, der übrigens auch in Kombination mit dem Kinder- und Jugendtelefon für die bessere Erreichbarkeit des Jugendamtes von entscheidender Bedeutungist.Hierkooperierenwirsehrengmitfreien Trägern. Ein weiterer Punkt wird der Bereich, auch hier schon angesprochen, von Fortbildung und Weiterqualifizierung sein, erste Maßnahmen haben dazu stattgefunden im November, im Mai wird ein weiterer Fachtag folgen, und weitere Fortbildungsmaßnahmen, Qualifizierungsprogramme sind in der Vorbereitung, die Gewährleistung von Supervision, auch das ist ein Instrument, um hier eine Hilfestellung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort zu bringen, und die Stärkung der Wirtschaftlichen Jugendhilfe.
Als weiteren gravierenden Mangel hat der Untersuchungsausschuss den Umgang mit substituierten und drogenabhängigen Eltern herausgearbeitet. Ich will auch hier einiges dazu sagen. Der Fall Kevin zeigt, dass das Wohl der drogenabhängigen Eltern zum Teil höher bewertet wurde als das Wohl des Kindes. Ein derartiges Verhalten muss dauerhaft unterbunden werden!
(Beifall bei der SPD, bei der CDU und beim Bündnis 90/Die Grünen) Deswegen haben wir in der Drogenhilfe mit allen Beteiligten gerade vor 14 Tagen eine Vereinbarung beschlossen, die die Prioritätensetzung umkehrt. Grundsätzlich wird demnach angenommen, dass drogenabhängige und substituierte Eltern nicht in der Lage sind, Kinder zu erziehen. Kinder dürfen in diesen Familien nur dann belassen werden, wenn die Eltern beweisen, dass sie in der Lage sind, ihr Kind zu einhalten, was dann in der Folge auch engmaschig kontrolliert wird. Kindeswohl muss Vorrang haben!
(Beifall bei der SPD)
Wir haben insgesamt mit den eingeleiteten Maßnahmen erhebliche Verbesserungen erreicht. Zum Teil handelt es sich, das ist richtig, noch um Konzepte, zum Teil sind diese Konzepte bereits umgesetzt. Vor uns steht die schwierige Aufgabe, in einem umfassenden Prozess der Organisationsentwicklung die gewonnenen Erkenntnisse, die neuen Anweisungen, die neuen Arbeit zu verankern und, das ist ganz wesentlich, ein umfassendes System der Qualitätssicherung zu etablieren.
Meine Damen und Herren, das geht sicherlich nicht von heute auf morgen! Wir haben hier einen Prozess vor uns. Ich bin gleich zu Beginn meiner Amtszeit zum Teil mehrfach in den Sozialzentren gewesen und habe mir die Arbeitssituation von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern schildern lassen. Mir ist dabei klar geworden, dass es einerseits einfach an Personalkapazitäten mangelt, ich habe aber auch gesehen, dass eine neue Form der Anerkennung, aber eben auch der ausdrücklichen Anforderung notwendig ist. Dazu gehören Kontrollen durch Dienstvorgesetzte und erforderliche Berichterstattung als ein Instrument von fachlicher Unterstützung und Reflexion von eigenem Handeln und eigenem Vorgehen.
Es ist außerdem bezeichnend, dass mir in allen Sozialzentren, und das mag eine Lappalie sein, das Fehlen der Fahrkarten für Hausbesuche geschildert wurde. Sicherlich ist es eine Lappalie, aber darin drückt sich auch für mich ein Teil von als fehlend empfundener Wertschätzung der eigenen Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort aus. Diese Dinge müssen zügig und unbürokratisch abgestellt werden.
(Beifall bei der SPD)
Jede Organisationsentwicklung im Amt für Soziale Dienste erfordert eine umfassende Beteiligung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das heißt für mich allerdings nicht, dass wir jede Entscheidung mit allen diskutieren, es bedeutet für mich aber, dass wir deutlich und transparent für die Vermittlung von zentralen Entscheidungen sorgen müssen, und zwar in die Mitarbeiterschaft hinein, und dabei die Sichtweisen aus der Praxis ernst nehmen und in diesen Prozess mit aufnehmen müssen. Wir brauchen einen konstruktiven Dialog, wir brauchen Kreativität und innovatives Denken für die praktische Umsetzung der genannten Aufgaben, und wir brauchen deutlich eine bessere Kooperation zwischen dem Amt für Soziale Dienste und den freien Trägern. Der Weg ist bereitet, die Bereitschaft ist auf allen Seiten vorhanden.
Dieser kommunikativen Aufgabe werden wir uns in den kommenden Monaten gemeinsam mit dem neuen Amtsleiter stellen.
(Beifall bei der SPD) Lassen Sie mich einen Punkt ansprechen, der über die Aspekte hinaus weist, die im Untersuchungsausschuss detailliert aufgearbeitet wurden! Die gedeihliche Entwicklung von Kindern und die Sicherung des Kindeswohls sind nicht allein mit Maßnahmen zu gewährleisten, die auf Krisenintervention gerichtet sind. Das Jugendamt wird häufig erst aktiv, wenn Krisen eskaliert sind. Wir müssen aber früher anfangen, um Krisen gar nicht erst entstehen zu lassen und um ein Verhältnis aufzubauen, in dem Aktivitäten des Jugendamts von den Eltern nicht als abzuwehrender Eingriff, sondern als Hilfe, als Beratung und als Unterstützung empfunden werden.
(Beifall bei der SPD) Deswegen ist es mir ein zentrales Anliegen, das bestehende Präventionssystem wesentlich zu verbessern und auszubauen. Wir wollen das Netz der Schutzund Früherkennungsmaßnahmen so eng wie möglich knüpfen und damit für unsere Kinder die größtmögliche Sicherheit erreichen. Mit der wahrscheinlich gleich erfolgenden Verabschiedung des Gesetzes zur Sicherung des Kindeswohls und zum Schutz vor Kindesvernachlässigung gehen wir damit auch einen wesentlichen Schritt. Ziel ist es, die Vorsorgeuntersuchung für Kleinkinder verbindlicher zu gestalten, die Teilnahme an diesen Untersuchungen zu erhöhen und damit auch den Aspekt der Kindeswohlsicherung mit einzubringen.
Bei dieser Präventionsmaßnahme dürfen wir aber nicht stehen bleiben, sondern wir müssen dies durch geeignete weitere Maßnahmen sinnvoll ergänzen. Im Beratung und Screening zum Kindeswohl in benachteiligten Wohnquartieren, ich nenne hier nur den Titel Tipp Tapp, gesund ins Leben, Ausbau des Bremer Hebammenprogramms, Qualifizierung der Hilfen für drogenabhängige Eltern, Pro-Kind Bremen, Lies mir vor! Bremer Bücherbabys, die Stärkung der Erziehungsberatung und, last, not least, die Gewinnung ehrenamtlicher Familienpaten. Diese Maßnahmen, meine Damen und Herren, verstehen sich übrigens nicht additiv, sondern greifen ineinander und versprechen daher eine große Wirkung.
Das ist das Entscheidende, dass wir ein System aufbauen, dass die einzelnen Programme, die einzelnen Maßnahmen aufeinander bauen, sich ergänzen und hier eine sinnvolle Unterstützung für Kinder, für junge Familien darstellen. Nach meiner festen Überzeugung gibt es darüber hinaus einen direkten Bezug zu unserem System der Kindertagesbetreuung. Auch hier werden gerade für Kinder aus sozial benachteiligten Verhältnissen Verbesserungen vorgenommen, und dies werden wir konsequent mit Elternarbeit verbinden müssen.
Abschließend möchte ich nochmals hervorheben:
Meine Lehren aus dem Tod Kevins sind, dass wir die Strukturen und Abläufe im Amt nachhaltig und rasch verbessern müssen. Das wird aber nur fruchten, wenn wir gleichzeitig ein umfassendes Präventionssystem aufbauen. Die Diskussion im Jugendhilfeausschuss in der letzten Woche wie auch die heutige Debatte zeigen, dass wir eine große Einigkeit über die zu ergreifenden Maßnahmen haben. Ich hoffe, dass dieser politische Konsens die Umsetzung der notwendigen Maßnahmen befördern wird.
(Beifall bei der SPD)
Das heißt aus meiner Sicht zweierlei: Ein großer Teil der diskutierten Maßnahmen ist haushaltsrelevant. Weder das dazu benötigte Personal noch die notwendigen finanziellen Mittel sind bisher im Haushalt meines Ressorts dafür berücksichtigt. Unsere fachpolitischen Erkenntnisse müssen sich aber auch in haushaltspolitischen Prioritätensetzungen wiederfinden. Unsere Verantwortung ist es, unsere Unterstützungssysteme für Kinder und junge Familien so zu gestalten, dass Kinder geschützt und gefördert werden. Nach dem Tod des kleinen Kevin hat die öffentliche Diskussion nun um die Lebensbedingungen von Kindern wie auch um die Sicherung des Kindeswohls eine erhebliche Sensibilität erfahren. Es muss uns gelingen, diese öffentliche Aufmerksamkeit für unsere Kinder zu erhalten und Kevins Schicksal mahnend für uns alle in Erinnerung zu behalten.